Freitag, 24. August 2012

Eine Geschichte vom " Loslassen "


Der Erlöser

Es lebte einmal eine Gruppe von Wesen auf dem Grund eines großen kristallenen Flusses. Jedes Lebewesen klammerte sich auf seine Weise fest an die Steine und Felsen des Flußbetts, weil Klammern ihre Art zu leben war, und wehrten sich gegen die Strömung, wie sie es von Geburt an gelernt hatten.

Aber ein Wesen sagte schließlich: Ich glaube, dass die Strömung weiß, wohin sie geht. Ich lasse einfach los, soll sie mich mitnehmen, wohin sie will. Wenn ich mich weiter hier festklammere, werde ich an Langeweile sterben.
...

Die anderen Wesen lachten und sagten: Du Narr. Laß los, und die Strömung, die du verehrst, wird dich gegen die Felsen schleudern und wegwirbeln, und du wirst schneller sterben als an Langeweile!

Das eine hörte aber nicht auf sie, holte tief Luft und lies los, und wurde sofort von der Strömung gegen die Felsen geschleudert und weggewirbelt. Aber weil das Wesen sich nicht mehr anklammerte, hob die Strömung es langsam vom Boden, und es wurde nicht mehr gequetscht und verletzt.

Die Wesen flußabwärts, die es nicht kannten, riefen: Schaut! Ein Wunder! Ein Wesen wie wir, aber es fliegt! Seht den Messias, er kommt, um uns alle zu retten!

Der eine, der von der Strömung getragen wurde, sagte: Ich bin nicht mehr als ihr ein Messias. Der Fluß hebt uns gerne in die Freiheit, wenn wir ihn nur lassen. Unsere wirkliche Aufgabe ist diese Reise.

Aber sie riefen um so mehr: Erlöser!. Und während sie sich weiter an die Felsen klammerten, schufen sie die Legende eines Erlösers.

Richard Bach, Illusionen

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